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Burger vs. Pelmeni: Fastfood in Russland

16. Mai 2018 Landeskundemodul Sprachniveau:
Minh Hoang, Daria Dornicheva

In seinem Lied „Жаль” (dt. Bedauerlich) misstraut der bekannte russische Sänger Wasja Oblomow vielen Dingen, und unter anderem der Lebensmittelqualität von McDonald’s. Und doch boomt Fast Food in Russland, wo es seit Jahren einen krisenresistenten Wachstumsmarkt darstellt. Wie schafften es Burger und Blinis auf die Speisekarten der Schnellrestaurants? Und welche Rolle spielten sowjetische Großküchen und einheimische Unternehmen in der Geschichte des Fast Foods in Russland?

Bild: © Uliana Stavi

31 марта 1990 года на Пушкинской площади в Москве открылся первый в России Макдональдс. Артист Николай Лукинский вспоминает об этом так: «В 90-м мы с женой не попали в Макдоналдс. Испугались жуткой очереди. А в следующем году пошли всей семьёй. […] Минут сорок постоять на улице всё же пришлось. […] От первого посещения ресторана быстрого питания у меня остались в памяти ощущения восторга и удивления. Как будто попали в другой мир!» 1

В то время Макдональдс был символом американского качества, образцового сервиса и внимательного отношения к клиентам. Улыбающиеся сотрудники и знаменитые бургеры покорили сердца советских людей. Хотя сегодня это и звучит странно, Макдональдс представлялся тогда образцовым рестораном – и уверенно прокладывал дорогу другим торговым сетям, вскоре заполонившими российский рынок классикой американского фастфуда – бургерами, хотдогами и панированными куриными крылышками.

Традиционная русская кухня, казалось бы, отчетливо противостояла этим новым тенденциям: слишком сложная, слишком самобытная, требующая погружения2, она, по мнению многих кулинаристов, не годилась для быстрого питания.

Были, однако, и другие мнения. В 1998 году московский предприниматель Михаил Гончаров основал сеть ресторанов быстрого питания «Теремок», где меню состояло не из бургеров и картошки-фри, а из блинов, пельменей и сырников. Сеть быстро завоевала популярность в России, а в последние годы вышла и на международный рынок, открыв два филиала в Нью-Йорке и объявив о намерении покорить Германию3. Похожие концепты русского фастфуда были успешно воплощены проектами «Ёлки-палки», «Грабли» и «Му-му».

Возможный ответ на вопрос о том, почему русская кухня, вопреки ожиданиям, оказалась настолько приспособленной для быстрого питания, можно найти в советской истории. Традиционные сложные русские блюда вроде супа юрма после 1917 года постепенно вышли из широкого обихода. Население нужно было кормить быстро и дёшево. Прекрасным литературным воплощением этой утопической  идеи стал образ гигантской столовой «Четвертак», описанный Юрием Олешей в романе «Зависть». Эта легендарная столовая, воздвигнутая образцовым советским гражданином, товарищем Бабичевым, должна была предлагать любое блюдо за 25 копеек. Да и в реальной жизни из советского рациона постепенно вытеснялись блюда, приготовление которых могло вызвать сложности. Они уступали место пирожкам, борщу и пельменям, которые и становились «классическими» блюдами советских столовых, позднее просто перенятыми, вероятно, создателями русских фаст-фудов.4

Необыкновенно популярный и любимый, фаст-фуд представляет собой сегодня тот сегмент российской экономики, который продолжает развиваться даже в кризисные годы5. Что неудивительно, если помнить, что речь идёт далеко не об одном только гамбургере.

Am 31.03.1990 wurde am Puschkin-Platz die erste McDonald’s-Filiale Russlands eröffnet. Der Schauspieler Nikolaj Lukinskij erinnert sich daran folgendermaßen: „1990 haben meine Frau und ich es nicht zu McDonald’s geschafft. Uns hat die enorme Warteschlange erschrocken. Im darauffolgenden Jahr sind wir aber dann mit der ganzen Familie hingegangen. […] Trotzdem musste man ungefähr 40 Minuten auf der Straße anstehen. […] Der erste Besuch hat bei mir das Gefühl von Begeisterung und Erstaunen hinterlassen. Als ob wir in einer anderen Welt gelandet wären.“1

Zu dieser Zeit war McDonald’s Sinnbild für amerikanische Qualität, beispielhaften Service und einer zuvorkommenden Kundenbeziehung. Lächelndes Bedienungspersonal und die berühmten Burger eroberten die Herzen der sowjetischen Bevölkerung. Auch wenn es heutzutage kurios scheint, galt McDonald’s zu dieser Zeit als echtes Restaurant und ebnete mit Sicherheit den Weg für zukünftige Handelsketten, die schon bald den russischen Markt mit amerikanischen Fastfood-Klassikern wie Burger, Hotdogs und panierten Hähnchenflügel bereicherten.

Man sollte glauben, dass die traditionelle russische Küche im klaren Widerspruch zu diesen Trends steht: Der Meinung vieler Kulinaristen nach ist sie viel zu komplex und eigenartig und erfordert ein Eintauchen2, weshalb sie nicht für Fastfood geeignet ist.

Doch es gab auch andere Ansichten. 1998 gründete der russische Unternehmer Michael Gontcharow die Fastfood-Kette „Teremok“, wo nicht Burger und Pommes Frites, sondern Blini (Pfannkuchen), Pelmeni (gefüllte Teigtaschen) und Syrniki (Quarkpuffer) auf der Speisekarte standen. Die Kette erlangte in Russland schnell Bekanntheit und bewegt sich in den letzten Jahren mit der Eröffnung zweier Filialen in New York und der Ankündigung, auch nach Deutschland zu expandieren, auch auf dem internationalen Markt.3 Ähnliche Konzepte russischen Fastfoods werden außerdem von Jolki Palki“, „Grabli“ und „Mu-Mu“ erfolgreich umgesetzt.

Eine mögliche Antwort auf die Frage, warum sich die russische Küche wider Erwartungen als anpassungsfähig für Fastfood herausstellte, lässt sich in der sowjetischen Geschichte finden. Traditionsreiche aufwendige russische Gerichte, wie z.B. die Suppe Jurma, gerieten nach 1917 zunehmend in Vergessenheit. Die Bevölkerung sollte schnell und günstig versorgt werden. Das Darstellung der gigantischen Kantine „Četvertak“ (dt. wörtl. ein viertel Rubel) in Juri Oleschas Roman „Neid“ wurde zur vortrefflichen literarischen Verkörperung dieser utopischen Idee. In der legendären Kantine, die vom sowjetischen Musterbürger Babachiev errichtet wurde, sollte jedes Gericht für 25 Kopeken angeboten werden. Tatsächlich wurden im wirklichen Leben allmählich diejenigen Gerichte von der sowjetischen Speisekarte verdrängt, deren Zubereitung Aufwand bereiten konnte. Übrig blieben Piroschki, Borsch und Pelmeni, die zu Kantinenklassikern avancierten, und dann später offensichtlich von den Fastfood-Ketten aufgegriffen wurden.4

Das außerordentlich bekannte und beliebte Fastfood ist mittlerweile das Segment der russischen Lebensmittelwirtschaft, das sogar in Krisenjahren weiterwächst5. Das verwundert nicht, wenn man bedenkt, dass es um mehr als nur Hamburger geht.


Fußnoten

1. o. A. (2010): Pervyj fastfud v SSSR pojavilsja 20 let nasad. Metronews. Online verfügbar: https://www.metronews.ru/novosti/peterbourg/reviews/pervyy-fastfud-v-sssr-poyavilsya-20-let-nazad-1107055/ zuletzt geprüft am 25.04.2018.

2. o.A. (2017): Šef-povar: Russkaja kuchnja ne stanet populjarnee ital’janskoj, potomu sto trebujet pogruženija. NSN. Online verfügbar: http://nsn.fm/society/shef-povar-russkaya-kukhnya-ne-stanet-populyarnee-italyanskoy-potomu-chto-trebuet-pogruzheniya.html zuletzt geprüft am 25.04.2018.

3. o.A. (2018): Diese Fast-Food-Kette sagt McDonald’s den Kampf an. DerWesten. Online verfügbar unter: https://www.derwesten.de/wirtschaft/diese-fast-food-kette-sagt-mcdonald-s-den-kampf-an-id213330445.html zuletzt geprüft am 25.04.2018.

4. Sorokina, Anna (2017): Why Russian food will never be fast food, like McDonald’s. Russia Beyond. Online verfügbar: https://www.rbth.com/russian-kitchen/326644-russian-cuisine-will-never-be-mcdonalds zuletzt geprüft am 28.04.2018.

5. o.A. (2017): Russia’s fast food market: resilient & robust. WorldFood Moscow. Online verfügbar: http://www.world-food.ru/en-GB/press/news/3081.aspx zuletzt geprüft am 09.05.2018.


Text: Minh Hoang; russische Übersetzung: Daria Dornicheva unter CC BY-SA 4.0

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