Russland 2.0: Das Land durch seine Sprache und Medien verstehen

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Wort des Jahres 2017

Seit 2007 wird in Russland das „Wort des Jahres“ gewählt. Dabei geht es nicht einfach um Wörter, die häufiger als andere benutzt wurden. Es sind Begriffe, die sprachlich das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben eines Jahres bestimmen. Welche Wörter sind es im Jahr 2017 geworden? Und was sagen sie über Russland aus? Das erfahren Sie in diesem Landeskundemodul.

Bild: CC0

Слово года

В России, как и в Германии, есть такой конкурс – «Слово года». Он появился в 2007 году с лёгкой руки культуролога, философа и филолога [simple_tooltip content=’Михаил Эпштейн – Professor für Kulturtheorie und russische Literatur an der Emory Universität in den USA‘]Михаила Эпштейна[/simple_tooltip].

Поучаствовать в процессе отбора слов может любой. Для этого нужно просто зарегистрироваться в соцсетях в одной из групп под названием «Слово года» и предложить те слова или выражения, которые как-то особенно значимы в общественно-политическом, культурном и научном контексте – или придумать своё собственное слово, метко описывающее какой-то сегмент современной жизни. Именно так – из вычитанного в [simple_tooltip content =’Рунет – russischsprachiges Internet‘]Рунете[/simple_tooltip] или в СМИ, услышанного на кухне, в кафе или маршрутке, сочиненного креативно мыслящими интернет-пользователями – формируется своеобразный лонг-лист. А вот выбирает слова-победители экспертный совет конкурса. В него входят известные в России писатели, лингвисты, журналисты, философы, культурологи.

Слово года – это, конечно, не просто слово, которое чаще всего говорилось. Это своеобразное слово-символ, нечто наподобие вербального и концептуального итога прошедшего года, образ изменившейся за год языковой картины мира. Слово, которое, по точному замечанию одного из членов экспертного совета этого конкурса [simple_tooltip content=’Елена Черникова – russische Schriftstellerin, Dramaturgin und Publizistin‘]Елены Черниковой[/simple_tooltip], «висело весь год над нами, думающими и говорящими по-русски, плотно, как дым в накуренной комнате».

Неслучайно поэтому в 2014 году, например, словом года стало новообразование [simple_tooltip content=’Крымнаш – Der Ausdruck (dt. „Die Krim gehört uns“) wurde im Kontext der Angliederung der Halbinsel Krim an die russische Föderation bekannt. Er drückt innerhalb des russischen Narrativs Freude über die „Rückkehr“ der Halbinsel zu Russland aus. (vgl. dekoder.org: Krim nasch)‘]«крымнаш»[/simple_tooltip] – написанное, конечно, слитно. Семантическая значимость этого неологизма объясняется тем, что присоединение Крыма, как бы мы не оценивали его, позитивно или негативно, стало самым ярким, самым обсуждаемым событием 2014 года. А вторым словом в списке – и это тоже было ожидаемо – стали, конечно, «санкции».

«Санкции», кстати, сохранили своё место в списке конкурса и в 2015 году. Они разместились сразу после занявших первое место «беженцев» – слова, имевшего в тот год отношение не к собственно российской, а к зарубежной – европейской и ближневосточной – реальности (и это довольно выразительный пример того, что Россия стала встраиваться в глобальные тренды). А в «выражения года» – эта номинация тоже есть в конкурсе – попали тогда, в 2015, «[simple_tooltip content=’атмосфера ненависти – Atmosphäre des Hasses. Dieser Ausdruck bezeichnet u.a. die feindliche Stimmung gegenüber liberalen bzw. prowestlichen politischen Oppositionellen innerhalb Russlands. (vgl. echo.msk.ru: «Атмосфера ненависти». Кто ее создает?)‘]атмосфера ненависти[/simple_tooltip]» и «немцов мост», напоминающие о самом, пожалуй, значимом внутриполитическом событии 2015 года – убийстве в центре Москвы, на Большом Москворецком мосту, известного оппозиционного политика Бориса Немцова.

11 декабря 2017 года итоги конкурса были подведены в одиннадцатый раз. Словом года стала «реновация» – ставшая уже действительно знаменитой московская программа по сносу малоэтажных жилых домов. На втором месте биткоин – единица криптовалюты, о которой осведомлен нынче каждый, даже тот, кто прежде никогда не выражал интереса к валютным операциям. А на третьем месте «хайп» – шумиха на пустом месте, то есть вокруг чего-то, что на самом деле не стоит никакого внимания. И неудивительно: в 2017 году было немало людей и событий, которые стремились «словить хайп», то есть вызвать в обществе ажиотаж, которого, в общем, не заслуживают. К ним можно отнести и выдвижение скандально известной телеведущей [simple_tooltip content=’Ксения Собчак – Eine russische TV-Moderatorin, Journalistin sowie politische Aktivistin der Opposition‘]Ксении Собчак[simple_tooltip] в президенты, и события вокруг фильма [simple_tooltip content=’Алексей Учитель – Ein preisgekrönter sowjetischer und russischer Filmregisseur und Produzent, ausgezeichnet mit dem Ehrentitel “Volkskünstler Russlands”‘]Алексея Учителя[/simple_tooltip] «[simple_tooltip content=’Матильда – Das in Russland umstrittene und viel kritisierte historische Filmdrama über die romantische Beziehung zwischen der Primaballerina des Mariinski Theaters Matilda Kschessinskaja und Nikolai II‘]Матильда[/simple_tooltip]». А «выражением года» стало «Он вам не Димон!», отсылающее к фильму-расследованию Алексея Навального о премьер-министре Российской Федерации Дмитрии Медведеве. Фильму, вызвавшему, к слову сказать, ажиотаж вполне заслуженный.

Что означает победа именно этих слов и выражений? Конечно, это история не только о языке. Как заметил основатель конкурса Михаил Эпштейн в одном интервью, «то, как мы говорим, определяет то, как мы живём. А подобные конкурсы помогают обществу осознавать, где оно находится в данный момент, откуда идёт и, главное, куда».

Es gibt in Russland, genauso wie in Deutschland, einen Wettbewerb – „Wort des Jahres“. Er wurde 2007 vom Philosophen und Philologen Michail Epstein ins Leben gerufen.

Jeder kann an der Wortauswahl teilnehmen: Dazu muss man sich lediglich in den sozialen Netzwerken in der „Wort des Jahres“-Gruppe registrieren und Wörter oder Ausdrücke vorschlagen, die eine besondere Bedeutung im gesellschaftlich-politischen, kulturellen und wissenschaftlichen Kontext tragen. Oder man denkt sich selbst ein Wort aus, dass einen aktuellen Lebensbereich treffen beschreibt. Auf diese Art entsteht – aus dem Runet (russischsprachiges Internet) oder aus den Medien, aus zufällig Gehörtem, ob in der Küche, Cafe oder Marschrutka – entsteht eine Art Vorauswahl. Die Endsieger unter den Wörtern werden durch den Expertenrat des Wettbewerbs bestimmt. Er besteht aus den bekannten Schriftstellern, Linguisten, Journalisten, Philosophen und Kulturwissenschaftlern Russlands.

Das Wort des Jahres ist natürlich mehr als nur ein Wort, das häufig fällt. Es ist ein Wort-Symbol, in seiner Eigenart verbales wie konzeptionelles Fazit aus dem vergangenen Jahr, eine Verkörperung der sich während des Jahres geänderten sprachlichen Weltsicht. In den treffenden Wörtern von Elena Černikova, eines der Mitglieder im Expertenrat des Wettbewerbs, ist es ein Wort, das „über das ganze Jahr über uns Russischsprechenden und -denkenden hing, so dicht wie der Qualm in einem verrauchten Zimmer“. Deshalb ist es kein Zufall, dass z.B. 2014 die Wortbildung „Krimnasch“ („Die Krim gehört uns“, wörtl. Krim-unsere) als Wort des Jahres ausgezeichnet wurde. Die semantische Relevanz dieser Wortbildung lässt sich dadurch erklären, dass die Krim-Annexion, ungeachtet dessen, wie wir sie bewerten, ob positiv oder negativ, zu einem markanten Ereignis geworden ist, über das 2014 am meisten diskutiert wurde. An zweiter Stelle in der Liste steht, ebenfalls nicht überraschend, natürlich das Wort „Sanktionen“.

Das Wort „Sanktionen“ hat seinen zweiten Platz auch 2015 beibehalten, gleich hinter dem ersten Platz „Flüchtlinge“ (ein Wort, das nicht nur zur russischen, sondern auch zur internationalen – europäischen wie nahöstlichen – Realität in Beziehung steht). Redewendung des Jahres – diese Auszeichnung gibt es bei dem Wettbewerb ebenfalls – sind in dem Jahr „Atmosphäre des Hasses“ und die „Nemcov-Brücke“, die an das wohl größte Ereignis im Jahr 2015 erinnern: an den Mord des bekannten oppositionellen Politikers Boris Nemcov Mitten in Moskau, auf der Großen Moskvoreckij Brücke.

Am 11. Dezember 2017 wurden die Ergebnisse des Wettbewerbs zum elften Mal vorgestellt. Das Wort des Jahres wurde „Erneuerung“ – das aufsehenerregende Moskauer Bauvorhaben zum Abriss von Wohnhäusern mit wenig Stockwerken. Auf dem zweiten Platz ist der „Bitcoin“, über die heutzutage alle bestens Bescheid wissen, sogar diejenigen, die zuvor nie Interesse an Devisengeschäften zeigten. Und auf dem dritten Platz befindet sich „Hype“ – ein großes Aufsehen um Garnichts, beziehungswiese um etwas, das eigentlich keine Aufmerksamkeit verdient hätte. Das ist nicht verwunderlich: Nicht wenige Personen und Ereignisse versuchten 2017, einen „Hype abzubekommen“ und einen Rummel in der Öffentlichkeit zu erzeugen, wo es keinen Anlass dazu gibt. Dazu lassen sich die Präsidentschaftskandidatur der berühmt-berüchtigten Fernsehmoderatorin Ksenija Sobčak und die Ereignisse um den Film „Matilda“ von Aleksej Učitel’. „Für euch ist er kein Dimon“ wurde zur Redewendung des Jahres, die auf Alexander Naval’nyjs Dokumentarfilm über den russischen Premierminister Dmitri Medvedev bezieht. Der Film, das lässt sich übrigens sagen, ist dem Trubel um ihn vollkommen würdig.

Was steht nun hinter der Auszeichnung von ausgerechnet diesen Wörtern und Redewendungen? Natürlich nicht nur sprachlicher Kontext. Wie es der Begründer des Wettbewerbs Michail Epstein in einem Interview ausgedrückt hat: „Wie wir leben wird dadurch bestimmt, wie wir sprechen. Und Wettbewerbe dieser Art helfen der Gesellschaft zu begreifen, wo sie sich im Moment befindet, was der Ausgangspunkt ist und, vor allem, in welche Richtung sie sich bewegt.“

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[wp-svg-icons icon=“headphones“ wrap=“i“] Zusätzlich können Sie sich hier unseren Podcast zum Thema anhören:

Ist die Wahl der Wörter wirklich repräsentativ? Wie kann eigentlich jemand, der in den Vereinigten Staaten lebt, den Wettbewerb verantworten? Diese und weitere Fragen diskutieren Oksana, Minh, Hayarpi und Maria in unserem Podcast.

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Literaturverzeichnis:

Архангельский, Андрей (2017): Мальчики кровавые в умах // Новая газета, 20.12.2017, URL: https://www.novayagazeta.ru/articles/2017/12/20/74987-malchiki-krovavye-v-umah

Белова, Светлана (2017): „Чужое“ слово года. «Брексит» оказался близок россиянам // Коммерсант.ру, 3 января 2017. URL: https://www.kommersant.ru/doc/3186246

Есенин, Сергей (1924): Письмо к женщине, URL: http://esenin.niv.ru/esenin/text/pismo-zhenschine.htm

Ларина, Ксения (2014): Говорим по-русски, передача-игра. Слова как символы года // Эхо Москвы, 05 января 2014. URL: https://echo.msk.ru/programs/speakrus/1228836-echo/#video

Морозова, Ксения (2017): Филолог Светлана Друговейко-Должанская о слове «хайп», Оксимироне и мальчике из Уренгоя // Собака, 12 декабря 2017. URL: http://www.sobaka.ru/city/society/65783

Туркова, Ксения (2017): Слово года-2017: «Иностранный агент», «домогант» и «реновация» [Интервью с Михаилом Эпштейном] // Голос Америки, 11 декабря 2017. URL: https://www.golos-ameriki.ru/a/slova-goda-2017/4158895.html

Сухова, Ирина-Лика (2014): «Крымнаш» стал главным словом уходящего года // Московский комсомолец, 10 декабря 2014. URL: http://www.mk.ru/social/2014/12/10/krymnash-stal-glavnym-slovom-ukhodyashhego-goda.html


Text: Daria Dornicheva; Übersetzung: Stefanie Mirau; Podcast: Oksana Tkachenko, Hayarpi Manukyan, Maria Rovkina, Zoe Stahl; Landeskundliche Kommentare: Franziska Herzberg, Minh Hoang unter CC BY-SA 4.0

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